In kaum einem anderen Land der Welt liegen Geschichte und Moderne so dicht beieinander wie im „Reich der Mitte“. In China vereinen sich Fortschritt und Tradition auf einmalige Weise. Kein Wunder, dass das Land bei vielen Menschen Reiselust und Fernweh weckt.

Im Rahmen eines zehnjährigen Projektes unterstützen WBS TRAINING und WBS SCHULEN einen chinesischen Bildungsträger beim Aufbau einer Altenpflegeausbildung nach deutschem Vorbild. Dafür reiste Fachreferentin Anke Bordihn in die chinesische Provinz Henan und erhielt dort die einzigartige Möglichkeit, in eine fremde Kultur einzutauchen.

Die geschichtsträchtige Region gilt als Wiege der chinesischen Kultur und Zivilisation. Inmitten von buddhistischen Tempeln und Wolkenkratzern befindet sich dort auch das medizinische College Henan. Zurück in Deutschland erzählt Anke Bordihn von ihrer Reise nach Fernost:   

China Reisebericht - Foto von Anke Bordihn
Fachreferentin Anke Bordihn reiste im Auftrag der WBS SCHULEN nach China. (Foto von Anke Bordihn)

Nǐ hǎo China: eine schwierige Entscheidung

Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich von Anfang an Feuer und Flamme für das Projekt war. Zu Beginn war ich zugegebenermaßen zwiegespalten. Denn ich bin wahrlich kein Weltenbummler-Typ, eher eine Stubenhockerin, und arbeite gerne in meinem gewohnten Umfeld zu Hause. Ich hatte direkt Argumente für und gegen die Reise nach China im Kopf – sozusagen ein Engelchen und ein Teufelchen, die links und rechts auf meiner Schulter saßen. Denn mir war klar: Das wird kein Urlaub, sondern eine anstrengende Reise.

Mein Chef und die Projektleiterin machten mir die Idee aber nach und nach schmackhaft und auch viele andere Kollegen haben zu mir gesagt: „Du bist verrückt, wenn du das nicht machst!“ Ich dachte mir schließlich: Da ist was dran. Das war der Moment, in dem ich über meinen Schatten sprang und mir vornahm, die Herausforderung als Chance zu betrachten. Denn die Altenpflegeausbildung, wie wir sie in Deutschland anbieten, in einem fremden Land einführen zu dürfen, ist eine einzigartige Gelegenheit. Mir war klar, dass ich mich auf große kulturelle Unterschiede, ein anderes Menschenbild und ein anderes Bildungsverständnis würde einstellen müssen. Kurz gesagt: Mich erwartete eine extrem große Herausforderung.

Eine neue Welt: Aufbruch nach Fernost

Zusammen mit der Projektleiterin Martina Wagner flog ich schließlich nach Peking und reiste von dort aus weiter bis nach Henan. Dort sieht es tatsächlich vielerorts so aus, wie man China aus dem Fernsehen kennt und wie man es sich typischerweise vorstellt: Schwindelerregende Hochhäuser mit 20 oder 30 Stockwerken, die wie quadratische Wohntürme in die Höhe ragen, prägen das Stadtbild. Aber es gibt auch Park- und Grünanlagen, die von den Einheimischen gewissenhaft gepflegt werden und top in Schuss sind. In Henan angekommen, wurde ich von meinem chinesischen Betreuer abgeholt und zum Campus gefahren. Dieser ist riesig, 6.000 Auszubildende lernen hier, es herrscht immer Bewegung. Auf dem Campus gibt es Internate, mehrere Bildungsgänge im Bereich Medizin und Gesundheit und sogar ein eigenes Hotel. Gastfreundlich, wie die Chinesen sind, bekam ich das größte und schönste Zimmer – zum Glück mit Klimaanlage! Sehr angenehm bei 90 Prozent Luftfeuchtigkeit und drückender Hitze…

Altenpflege in China und Deutschland: Was ist anders?

Die Altenpflegeausbildung, wie wir sie aus Deutschland kennen, gibt es in dieser Form in China nicht. Bei der hiesigen Ausbildung handelt es sich eher um eine hochspezialisierte Krankenpflegeausbildung, die sehr medizinisch geprägt ist. Diese ist zwar äußerst fortschrittlich, allerdings fehlt der Praxisbezug komplett. Wenn die Schülerinnen und Schüler nach ihrer Ausbildung ins Berufsleben starten, arbeiten sie dort oft zum ersten Mal in einer Krankenhausumgebung und müssen sich erst einmal zurechtfinden. Daher dauert es meist nochmal zwei Jahre, bis sie eine entsprechende Handlungskompetenz in der Krankenpflege entwickelt haben und wirklich eigenständig arbeiten können.

Kulturelle Vielfalt in China
Ein Altenpflegemodell, wie wir es aus Deutschland kennen, existiert in Henan bislang nicht. Das soll sich durch die Arbeit der WBS SCHULEN ändern. (Foto von Ian Valerio/Unsplash)

Die Ziele des Projektes in Henan.

Unsere Aufgabe während der auf zehn Jahre angelegten Zusammenarbeit ist es, die duale Berufsausbildung in China nach deutschem Vorbild zu implementieren und die Lehrerinnen und Lehrer entsprechend zu coachen. Das ist gar nicht so einfach, denn hier prallen zwei grundverschiedene Bildungsverständnisse aufeinander. Eines ist dabei nicht besser oder schlechter – nur eben anders. In Deutschland ist das Ziel, die Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, selbstständig zu lernen. In China steht dagegen das Wiedergeben von auswendig gelerntem Wissen im Vordergrund. Die Lehrkraft hält dort häufig in einem kleinen Raum vor 60 Leuten ihren Vortrag. Allerdings hat diese Art des Unterrichtens nichts damit zu tun, dass man sich keine Mühe mit den Schülern gibt. Im Gegenteil: Die chinesischen Lehrerinnen und Lehrer sind extrem fleißig und sehr engagiert.

Patient statt Puppe: Von der Theorie zur Praxis.

Berufliche Handlungskompetenz kann man in der Altenpflegeausbildung nur mit der entsprechenden Praxiserfahrung erlangen. An der richtigen Ausstattung mangelt es dabei am medizinischen College in Henan auf keinen Fall. Um die Massen an Schülern fassen zu können, gibt es riesige Praxisräume, die so groß wie Messehallen sind. Dort ist für jedes Lernthema ein eigener Bereich mit Puppen, Dummys und Lehrmaterial vorgesehen. Aber das allein kann das Lernen im richtigen Arbeitsalltag mit dem Patienten nicht vollständig ersetzen. Zwar sieht die Ausbildung nach jetzigem Stand auch ein Praktikum vor, jedoch laufen die Schülerinnen und Schüler dort nur hinter erfahrenen Pflegekräften her und schauen zu, anstatt selbst wirklich aktiv werden zu dürfen.

Zwischen Arbeit und Kultur: ein Tag in Kaifeng, Provinz Henan.

Mein erster Besuch in Henan dauerte zehn Tage. Um neun Uhr morgens machte ich mich zusammen mit der Dolmetscherin auf den Weg zum College. Anschließend unterrichtete ich die Lehrkräfte für acht Stunden. Wie in China üblich, legte ich zwischendrin eine lange Mittagspause ein. Nach Feierabend stand für mich oft noch Kulturprogramm auf dem Plan. Wir sahen uns dann beispielsweise die alte Kaiserstadt an, gingen jeden Abend in einem anderen Restaurant essen und besichtigten Tempel. Viel ist von den historischen Gebäuden zwar nicht mehr erhalten, aber teilweise werden diese wieder originalgetreu aufgebaut. Die alten kaiserlichen Bauten zu sehen, war wirklich beeindruckend.

Foto vom Xiangguo Tempel in China
Eindrucksvoll und farbenfroh: der Xiangguo Tempel in Henan (Foto von Aaron Zhu/Wikimedia Commons)

Lost in Translation?

Die Kommunikation mit den Lehrern war nicht immer ganz einfach – ich spreche nämlich nur ein paar Brocken Chinesisch. Wörter wie „ja“, „gut“, „danke“ und „auf Wiedersehen“ beherrsche ich, aber alles Weitere musste dann doch die Dolmetscherin übernehmen. Ich hatte eine deutschsprachige Chinesin an meiner Seite, die auch die Präsentationen für mich gehalten hat. Auf meinem Fernseher im Hotel habe ich beim Durchzappen einen chinesischen Nachrichtensender mit englischen Untertiteln entdeckt. Wörter, die oft wiederholt werden, habe ich nach einer Weile wiedererkannt und mir gemerkt. Chinesisch zu verstehen fällt mir allerdings leichter, als es selbst zu sprechen. Denn die chinesischen Schriftzeichen haben je nach Aussprache unterschiedliche Bedeutungen. Da muss man sich schon sehr intensiv mit beschäftigen, um sich halbwegs verständigen zu können. Selbst ein Bekannter von mir, der seit vielen Jahren als Professor in China unterrichtet, kann zwar sehr gut schreiben, tut sich aber nach wie vor schwer mit der gesprochenen Sprache.

Von Türschwellen und anderen Stolperfallen.

Die chinesische Gesellschaft ist stark hierarchisch geprägt. Durch mein Alter, meinen Beruf als Lehrerin und meinen Status als Gast in diesem Land hatte ich das Glück, gleich drei Voraussetzungen zu erfüllen, um mit besonderem Respekt behandelt zu werden. Dadurch besaß ich ein Stück weit „Narrenfreiheit“ und das ein oder andere Fettnäpfchen, wurde mir großzügig nachgesehen. Zum Beispiel in Bezug auf angemessene Kleidung: Wegen der Hitze trug ich immer offene Schuhe und das wird eigentlich nicht gerne gesehen. Aber hier geht die Gastfreundschaft eben über alles. Man hat mit rührender Sorgfalt darauf geachtet, dass es mir gut geht und ich wunschlos zufrieden bin. Teilweise war es mir fast schon unangenehm, mit welchem Eifer meinen Wünschen nachgekommen wurde. Ein Beispiel: In China ist es nicht üblich, dass die Türen ebenerdig sind. Meistens gibt es eine recht hohe Schwelle. Einmal bin ich über eine solche Erhöhung gestolpert. Seitdem war immer jemand an meiner Seite, der darauf Acht gab, dass ich nicht hinfiel. Ich hatte also gewissermaßen meinen eigenen „Türschwellen-Beauftragten“, das fand ich sehr ulkig, aber liebenswert.

REntdeckungstour durch China
Auch wenn man manchmal nur Bahnhof versteht: Dank der Gastfreundschaft der Chinesen fühlte sich Anke Bordihn gut aufgehoben. (Foto von Manuel Cosentino/Unsplash)

Sonnenschirme und nächtliche Strandbesuche.

Zum Zeitpunkt meines Besuchs in Henan war es sehr heiß. Das war nicht immer einfach für mich, zumal ich eine Sonnenallergie habe und Hitze nicht gut vertrage. Da eine helle Haut in China als Schönheitsideal gilt, läuft draußen jeder mit einem Sonnenschirm herum. Auch mir wurde auf dem Campus sofort einer angeboten, den ich dankend angenommen habe. Den Einheimischen würde es niemals einfallen, tagsüber zum Sonnenbaden an den Strand zu gehen. Für uns Deutsche als Sonnenanbeter nur schwer nachvollziehbar! Wenn es dagegen abends dunkel wird, sind die Strände voll. Das fand ich wirklich erstaunlich.

Andere Länder, andere Sitten.

Viele kennen das Vorurteil, dass Menschen in China gerne in die Gegend spucken oder die Nase geräuschvoll hochziehen. In den ländlicheren Gebieten stimmt das tatsächlich, dort kann man dieses Verhalten vor allem bei den Männern der älteren Generation beobachten. Was zunächst befremdlich erscheint, hat aber durchaus seinen Sinn, wenn man sich einmal mit dem Hintergrund dazu auseinandersetzt. Zu Mao Zedongs Zeiten galt nämlich die Devise: Je proletarischer ich mich gebe, desto einverstandener zeige ich mich mit dem System. So kommt es, dass einige ältere chinesische Männer noch immer dieses „prollige“ Verhalten an den Tag legen. Die Jugend macht das heutzutage übrigens nicht mehr.

Ja und nein: In China manchmal schwer zu unterscheiden.

Was ich vorher ebenfalls nicht wusste: In China hört man sehr selten ein klares „nein“. Das Wort dafür existiert zwar schon, aber in China wird dir niemals jemand direkt sagen, dass er etwas nicht tun kann. Stattdessen heißt es dann zum Beispiel: „Ja, das werde ich machen, aber es wird mir schwerfallen, es zu erreichen.“ Begonnen wird immer mit einer Zustimmung, so dass das nein gewissermaßen „aufgeweicht“ wird. Das war mir anfangs nicht klar, denn man muss schon sehr genau aufpassen, um das zu verstehen. Daher war ich erst erstaunt und habe mich gefreut, dass sämtliche meiner Vorschläge auf Bestätigung stießen. Bis ich feststellte, dass man mir gegenüber einfach nur höflich sein wollte.

Chinesische Küche
Die chinesische Küche ist vielfältig und fleischbetont. Und hält einige kulinarische Überraschungen bereit. (Foto von Ian Valerio/Unsplash)

Was Hühnerköpfe und Käse gemeinsam haben.

Essen kann man in China ausgezeichnet. Die Küche ist sehr fleischbetont, es gibt aber auch viel Gemüse, Tofu und natürlich Nudeln. Im Gegensatz zu uns wird in der chinesischen Küche alles vom Tier verarbeitet. Einmal habe ich einen ganzen Hühnerkopf in meinem Essen gefunden. Über meinen Gesichtsausdruck haben sich meine chinesischen Begleiter köstlich amüsiert. Ich habe mich zwar nicht aus der Fassung bringen lassen, den Hühnerkopf habe ich dann aber doch lieber höflich zur Seite gelegt. Aber nicht nur für den deutschen Gaumen sind einige Aspekte der chinesischen Küche gewöhnungsbedürftig – umgekehrt gilt das genauso. Chinesinnen und Chinesen würden beispielsweise keinen Käse essen. Für sie ist das vergorene und vergammelte Milch und somit eine ziemlich ungenießbare Vorstellung. Brot, so wie wir es kennen, gibt es auch nicht. Was man in China unter Brot versteht, würden wir eher als Kuchen bezeichnen.

Warum ich in China keinen Salat mehr bestelle.

In China isst man drei Mal pro Tag warm. Zu meiner Überraschung habe ich während meiner Zeit in Henan nicht einmal Reis gegessen. Reis gilt als ein Magenfüller für die weniger Wohlhabenden. Was in Henan dagegen zu jeder Tageszeit auf den Tisch kommt, sind Nudelsuppen. Die gibt es morgens, mittags und abends. Als man mich ganz zu Anfang meines Aufenthaltes gefragt hat, was ich gerne essen möchte, sagte ich: „Ein Salat wäre jetzt genau das Richtige!“ Denn es war sehr heiß und ich hatte Lust auf etwas Frisches. Daraufhin schaute man mich ein bisschen ungläubig und fast schon mitleidig an – setzte aber dennoch alle Hebel in Bewegung, um mir einen wirklich leckeren Salat zu servieren. Erst später erfuhr ich, dass in China Salat vor allem Tierfutter ist – und nicht unbedingt auf dem Teller landet! Mit der Zeit wurde ich mutiger, habe auf Sonderwünsche verzichtet und auch typisch chinesische Speisen ausprobiert. Eine weitere Besonderheit: Da man das chinesische Leitungswasser nicht trinken kann, steht in jedem Raum ein Wasserkocher. Die chinesischen Lehrkräfte, die ich gecoacht habe, tranken also stets warmes Wasser– auch dann, wenn es sehr heiß war.

Teestunde in China
Tee hat in der chinesischen Kultur einen hohen Stellenwert und ist fester Bestandteil des Alltags. (Foto von 五玄土 ORIENTO/Unsplash)

„Der Tee wird vorbereitet sein.“

In China spielt Tee eine ganz wichtige Rolle. Teilweise sind sogar die Möbelstücke extra auf die Teezeremonie ausgelegt. Da sitzen dann Männer an großen, wuchtigen Bürotischen, in denen in der Mitte eine Vertiefung eingelassen ist, wo man das Tablett mit dem Tee abstellen kann.

Zu Beginn und zum Ende meiner Reise besuchte ich den Schulleiter des medizinischen Colleges. Das waren sehr besondere Begegnungen für mich. Bei meinem Abschlussbesuch holte der Schulleiter ein kostbares Teeservice aus Porzellan hervor und bot mir grünen Tee an. Dann sagte er: „Wenn du das nächste Mal kommst, wird der Tee vorbereitet sein.“ Eine chinesische Redewendung, die so viel bedeutet wie: „Du darfst sehr gerne wiederkommen.“ Da habe ich mich wirklich geehrt gefühlt und mich gefreut, dass der Schulleiter mit meiner Arbeit in Henan offenbar zufrieden war.

Zurück nach Fernost: Pläne für die Zukunft.

Wenn die erste Pilot-Klasse im Herbst die Krankenpflegeausbildung aufnimmt, werde ich erneut nach China reisen. Mein Fokus wird dann vor allem darauf liegen, die chinesischen Lehrkräfte bei der Unterrichtsplanung und -gestaltung zu unterstützen. Für die nächsten zehn Jahre stehen wir dem College zur Seite, indem wir abwechselnd nach China fliegen und unsere chinesischen Partner in Deutschland empfangen. Zusätzlich gibt es auch Coachings im E-Campus. Was mich rückblickend wirklich positiv beeindruckt hat, ist, wie gastfreundlich die Chinesen sind. Davon können wir uns in Deutschland sicher noch einiges abschauen.

Artikelbild von Annie Spratt

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